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Rückblick auf den
Jour
de Gloire
von
in
am
16. September 2012
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© an den Photos: HJD |
13 500 Menschen, die am vergangenen Sonntag im Colosseum von Nimes waren, stehen sicher noch genau wie ich unter dem Eindruck dessen, was sie als Augenzeugen miterleben konnten. Im Internet (ein unverzichtbarer Segen für die aficionados, die nicht dabei sein konnten) sammeln sich zahllose enthusiastische Kommentare zu diesem magischen Sonntagvormittag, in Wort und Bild. Wir können die einmaligen, unbeschreiblichen Momente in Fotos und Videos abrufen und nacherleben. Wer das Glück hatte dabei zu sein, wird diese Stunden für immer in der Erinnerung festgeschrieben er-halten. Unvergesslich, unwiederholbar ist der Tag; Einigkeit in der Begeisterung innerhalb der spanischen und französischen Presse. "Und wenn ich noch hundert Jahre leben könnte, würde sich etwas Vergleichbares nie wiederholen", versicherte ein Journalist. "Apotheose" und " Apocalypse now dans les arènes de Nimes" titelt die Tageszeitung La Marseillaise, assoziiert Seligsprechung mit seiner Person: "Tomás beatifié".
Auch die Sportzeitungen erweisen dem Torero und Fußballanhänger José
Tomás Referenz; mir gefällt besonders der kundige Beitrag in der
MARCA:
"Como un emperador en el Coliseo".
Während der Rückreise nach Deutschland im TGV sammelte und notierte ich
meine Gedanken zu dem großartigen Ereignis der matinée des Vortags. Auf
den Besuch der Corrida am Sonntagnachmittag, die den Abschluss der Feria
de Vendimia bildete, verzichtete ich. Ich hätte mich nicht auf El Juli
und Sebastian Castella konzentrieren können. Ich hätte ihre Leistung
nicht würdigen können und ihnen Unrecht getan, weil JT meine Fantasie
und Gedankenwelt besetzt hielt.
Auch die zuvor besuchten Corridas der Feria waren verblasst im Glanz des
jetzt schon als historisch bewerteten Auftritts von
José Tomás - el torero de este siglo. Hier
meine spontanen Notizen dazu:
JT, 6 toros6 en solitario!
(11 orejas, 1 rabo symbolico)
Dank des heftigen Mistrals, der in den
vergangenen Tagen geweht und den Toreros die Arbeit mit den Tüchern
erschwert hatte, war das Wetter am Sonntagvormittag von kristalliner
Brillanz, das Colosseum sonnenbeschienen; der Sand glänzte goldfarben.
Die ideale Kulisse für den Auftritt des Toreros, den ich seit der
Corrida des Abschieds von der Plaza Monumental in Barcelona vor fast
genau einem Jahr nicht mehr gesehen hatte. Mein Platz: Toril Bas B, Rang
3. Große Aufregung, Unruhe, freudige Erwartung, Zeichen vorauseilender
Nervosität in den Gesichtern der Besucher um mich herum, die während der
drei vergangenen Nachmittage sympathische Nachbarn waren. Sie gehörten
zur Internationale der afición a los toros, es wurde nicht nur
Französisch oder Spanisch gesprochen. - Mit meinem freundlichen
Sitznachbarn aus Norwegen, der obsessiv fotografierte, tauschte ich mich
noch über die corrida des Vortags aus. Morante hatte es wieder einmal
geschafft, ein ihm gewogenes Publikum zu brüskieren. Die Enttäuschung
hatte sich in gewaltiger bronca entladen. Dennoch waren
die überzeugten, "wahren" Morantistas
(wie ich und mein Freundin und der norwegische aficionado) der Meinung,
dass er mit den Details, die er zeigen konnte, viel Glanz in die Feria
gebracht hatte.
Nun rückte der Zeiger der Uhr voran, es wurde stiller. Alle Blicke waren
auf das Tor gerichtet, aus dem gleich JT und seine cuadrilla treten
würde. "Corrida de expectación - corrida de decepción?!" flüsterte mir
meine Freundin U. zu. Wir erhofften den guten Ausgang. Der große
Uhrzeiger sprang auf die sechs - 11 Uhr 30 - das weiße Taschentuch des
Präsidenten hing über der Brüstung.
Der Einzug von José Tomás löste gewaltig
anschwellenden Begrüßungsapplaus aus. Dieser Mann wird verehrt und
bewundert wie kein zweiter derzeit lebender Torero; egal, was heute
passiert, er hat schon jetzt den Rang eines Toreros de Epoca. Dass er
die tödliche Verletzung in Mexiko
überlebt hat, grenzte
an ein Wunder. Dass es ihm gelang, so
weit zu gesunden, dass er sich der heutigen Herausforderung stellen
konnte, empfand ich als großes Glück.
(Welche Arbeit, wieviel Liebe wurde
dafür eingesetzt!?) Diese und ähnliche Gedanken löste der Paseillo in
mir aus.
Was in JT vorgeht, was die messianischen Erwartungen seines Publikums in
ihm auslösen, darüber erfährt man nichts. Zu keiner Zeit. Er redet in
der Öffentlichkeit nicht. - Er nimmt die Ovationen mit Ernst, ohne
Lächeln an. Ein Arzt (in Las Ventas oder einer anderen Plaza?) verriet
einmal, dass José Tomás selbst unmittelbar nach einer schweren
Verletzung keinen erhöhten Blutdruck habe. Ob das seine Gelassenheit
unterstützt?
Wir jedenfalls, das Publikum, zeigten unsere
Aufregung, richteten unsere Aufmerksamkeit auf den toril, aus dem der
erste Stier aus der Ganadería Victoriano del Río rannte. Es war ein
Vergnügen,
den Maestro bei seiner Capa-Arbeit zu
beobachten. Die Capa glänzte auffallend,
sie war mit Seide bespannt; wie später
zu erfahren war, eine Sonderanfertigung für JT. - Die Cuadrilla war in
fantastischer
Form, bestens aufeinander bezogen in
allen Phasen. Eine ästhetische Choreographie! - Der Stier wurde dem
Nimenser Publikum gewidmet, die Montera fiel auf die "glückverheißende"
Seite - dankbarer Jubel.
Der Stier läuft, José Tomás steht in
gelassener Ruhe und lenkt ihn. Leichtigkeit, eine Art von Zärtlichkeit
zwischen Torero und Stier. Der Tod durch den Degen - auch der ohne
forcierte Gewaltsamkeit und dennoch effektiv gesetzt - geschieht
ohne Qual und Leiden. Einen Todesstoß
dieser Manier haben wir an diesem Vormittag noch bei vier anderen
Stieren erlebt: gnädig, ohne brutale Anmutung! So könnte der Tod am Ende
eines
Lebens willkommen sein?!? In einer
Tageszeitung bezeichnete man JT als "sacerdote"; ein Opferpriester,
warum nicht?
José Tomás beeindruckte durch sein unerschöpfliches Repertoire und seine
kreative Empathie! Für jeden der unterschiedlichen Stiere "erfand" er
eine eigene Form des Umgangs. Der dritte Toro z.B. protestierte mit
lautem, herzzereißenden Muhen gegen die Behandlung durch die Picadores
und Banderilleros, ließ sich dann aber durch JTs muleta in den Bann
ziehen und zum Angreifen provozieren und konnte seine Klasse zeigen.
Der vierte Stier landete einen eigenen
Überraschungscoup: Blitzschnell, die meisten Fotografen
konnten
nicht schnell genug ihr Objektiv
darauf richten, sprang er in den callejón und erschreckte
die Menschen dort und in den Rängen.
Ein Tor wurde geöffnet, er
fand den Weg hinaus in das Rondell,
niemand war verletzt worden. - "Ingrato" aus der Zucht der Domeq
(Parladé) erwies sich als ein echt wilder Stier, er "rang" mit seinem
Torero, vergeblich,
um die Herrschaft über die seidene
Capote. Er zeigte bravura und Angriffslust und lief immer wieder in die
muleta nach der Regie des Meisters. - Ingrato gefiel mir, er kämpfte.
José Tomás erhob den Degen zum Todesstoß, er verharrte länger in dieser
Stellung. Man hörte den Ruf "indulto". Man sah die ersten Taschentücher
in den Rängen. JT setzte seine Pases mit dem Stier fort, schien
einverstanden
mit dem Wunsch der Zuschauer, die
immer heftiger
nach Begnadigung des Stiers
verlangten. Der zunächst unnachgibige
Präsident willigte ein, als die bronca
gegen ihn Orkanausmaße anzunehmen begann: das gelbe Tuch wurde über die
Brüstung gelegt. - Erlöster Jubel und danach der simulierte Todesstoß,
JT begleitete Ingrato zum toril. Freudentaumel des Publikums. - Ich
dachte an den Herbst 2008, den indulto von Idilico in Barcelona, mein
erstes Erlebnis der Begnadigung eines Stiers durch JT. Es hatte mich
damals stärker ergriffen, erschien mir einzigartiger.
Über den heutigen indulto wurde auch
nachträglich polemisiert! Dennoch: Ich freute mich, dass dieser
wild-tapfere Stier von José Tomás ein zweites Leben geschenkt bekam. -
Um mich herum sah ich Leute, die hüpften und
tanzten und glücklich lachten und sich dessen versicherten, dass sie in
ihrer Begeisterung nicht allein waren.
Johann Sebastian Bachs Kantate:
"Jauchzet - frohlocket!" ging mir durch den Sinn.
Mein norwegischer Nachbar fürchtete,
er könnte einem Herzinfarkt erliegen. Ich sollte ihn gegebenenfalls
retten. Mon Dieu! Keine Frage! - Ich konnte seine Emotionen
nachvollziehen! -
Welchen Reichtum an Ideen entfaltete JT, um
Schönheit und Würde "seiner" Stiere zu unterstreichen?!
- Wieder aufs Neue erlebte ich, dass
er auf die begleitenden Pasodobles zu verzichten in der Lage ist. "La
música callada del toreo" (José Bergamín) - und "concha y flamenca" mit
einem Klarinettensolo - was unterstreicht den toreo puro mehr in der
aktuellen Situation? "Mu-si-ca" wird gefordert! JT braucht sie nicht, das weiß man schon lange. ER singt mit leiser Stimme - der eines Knaben - sein "to-rooo"! Er bannt das Tier mit seinem liebevollen Singsang - in kleiner Terz:
To - -
"Leise zieht durch mein Gemüt liebliches
Geläute". Dass dieses deutsche Lied Assoziationen zu
JT und der Fiesta de Toros beinhaltet,
lässt sich kaum glauben.
Auch das Publikum im Coloseum von Nimes ließ sich zur Ruhe zähmen. José
Tomás mit der fragilen Figur einer Statuette von Giacometti, bannt alle
mit seiner mäßigenden Autorität zu einvernehmlicher Stille.
Dann der letzte - sechste - Stier, aus der Zucht Victoriano del Río,
drahtig, widerspenstig,"hässlich".
JT handhabte die Muleta so riskant, dass wir
uns an die Zeiten erinnerten, wo er uns regelmäßig in Furcht
und Schrecken versetzt hatte mit jeder
seiner actuaciones. Heftige Stiche der Angst erlebte ich, gegen die ich
mich wehrte. Es beraubte mir den Atem. Ich verstand dennoch, dass er
diesen Stier nicht
"einfach so" gehen lassen konnte.
- Der Stier war extrem schwierig.
Bisher waren wir im Coloseum
der Tauro-Magie des JT vertrauensvoll
gefogt. "Kurzen Prozess" zu machen, war nicht seine Art. Er wählte
seinen Weg, indem er den Stier auf sanfte Art bezwang. In Anmut!
- Killing him softly!
José Tomás lächelte. Er hatte uns während
jeder Ehrenrunde ab dem
dritten Stier sein Lächeln geschenkt.
JT -
lächelt!
Glück, Erlösung, Dankbarkeit - selige Fröhlichkeit - im Coloseum, in der
ganzen Stadt Nimes!!
Gracias, José Tomás!
© torodora gorges
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Ein guter Freund drückte seine Emotion auf diese Weise aus:
José Tomás - Le Silence d`Or!
Eine unglaubliche Corrida!
"Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
ist für keine andere Corrida mehr zu haben!
Tomás: scheinbar mühelos den Stier leitend,
der Stier klebt am Tuch wie unter Hypnose!
Leichtfüßig beide: Stier und Torero!
Die Luft singt über der Arena: was für ein heiterer Tag!
Sieht man Tomás,
möchte man an den Segen der Götter glauben.
Ich hätte mich nicht gewundert, wenn er,
anstatt zur Porta Grande hinausgetragen zu werden,
straks zum Himmel hinaufgefahren wäre!
Zurück bleibt ein Goldschleier in den Augen der Menschen:
irdisch Evasion!