Randnotizen – ephemere Impressionen – oder der wiederholte Versuch, sich einem  Phänomen zu nähern, das sich dem Rationalen entzieht:

Madrid , 2004, Anfang Oktober

     In der Bar Manolete des Hotels Reina Victoria an der Plaza Santa Ana  war während der Feria de Otoño das übliche Gewimmel von Aficionados, Managern, Toreros – passiven und aktiven – die temporada in Südamerika vor allem wurde verhandelt. Es ging viel ums „Geschäft“ mit den Stieren. Ein Mann vor allem fiel auf, den man für einen älteren Bruder von Curro Romero halten konnte, kleiner, grauer, aber die Haare genauso gel-bzw. pomade-geglättet nach hinten gekämmt. Mit seinem melancholischen Gesicht wirkte er erfahren-abgeklärt. Teo, langjähriger Barman des Hotels mit einer abgebrochenen Torero-Karriere und großer Kenner der Szene, erzählte, dass es sich um Gonzalito handelte, den langjährigen Mozo de espadas von Curro Romero. 32 oder 35 Jahre dauerte ihre Arbeits- bzw. Vertrauensbeziehung. Angesichts ihrer Ähnlichkeit in  Gesichtszügen und in der Körperhaltung dachte ich an Ehepaare, die sich im Laufe der Zeit angleichen. Teo stimmte zu: “Vivir y trabajar juntos conduce a una forma de mimicri” (Zusammenarbeit und –leben führt zu einer Art Mimikry)

     Am nächsten Abend überwand ich meine Zurückhaltung als Frau und Ausländerin, die des Spanischen nur eingeschränkt mächtig ist. Gonzalito saß neben mir an der Bar. Ich erzählte ihm, wie ich Curro und damit indirekt auch ihn zum ersten Mal erlebt hatte:

      Im Oktober 1997 fand ein Benefiz-Festival für den japanischen Torero „El Niño del Sol Naciente“ in Alcalá de Guadaira statt. Neben Curro Romero traten u.a. Rafael de Paula, Atoñete und Curro Vazquez auf. Meine 20-jährige Tochter, zum ersten Mal in ihrem Leben bei einem Stierkampf anwesend, verlor durch die beindruckenden veronicas von Curro ihre Vorurteile. Als er vom Stier erfasst und trotz sichtbarer Schmerzen die faena mit einer guten estocada zu Ende führte, war sie für den „Arte del Toreo“ und für Curro gewonnen. Der lag mit seinen gebrochenen Rippen in Sevilla in der Clínica Esperanza de Triana. – In den regionalen Medien (Zeitungen, Fernsehen) erschienen täglich ausführliche Berichte über den Gesundheitszustand des verletzten Sechzigjährigen „Faraón de Camas“. Camas, ein Vorort Sevillas, ist Curros Geburtsort. Dessen unkundig wähnten wir ihn von den Medien zum König der (Kranken)-Betten (la cama - das Bett) ausgerufen. – Über diesen Irrtum einer deutschen aficionada lachte Gonzalito freundlich. Es begeisterte ihn jedoch sichtlich, dass er mit jemandem sprach, der an einem Detail seiner Vergangenheit so lebhaft Anteil hatte. Schließlich wusste ich auch noch, dass ich ihn als „Cerberus“ vor Curros Krankenzimmer in einem Beitrag des Fernsehsenders Canal Sur zur Frühstückszeit gesehen hatte.

     Als er an der Bar davon sprach, wie ängstlich und zu Tränen aufgewühlt er angesichts der Gefahr war, in der sich Curro befand, dachte ich an einen „Treuen Diener seines Herrn“.

     Gonzalito erzählte dann davon, dass er 5 Jahre apoderado von El Cid war, einem derzeit sehr erfolgreichen, aber – wie er betonte – äußerst überschätzten Matador.

     Er erinnerte sich an Frauen im Toreo, vor allem an nicht-spanische. Da gab es eine blonde Deutsche, sinnierte er, Angela, Isabelle? Er wusste es nicht mehr.

     Auf die Frage, ob er heute auch noch zu den corridas de toros gehen würde, schüttelte er lächelnd den Kopf. Es langweilt ihn. „Me aburren las corridas de toros“. Sehr selten geht er. „Muy raras vezes“. Als traditioneller Besitzer eines Abonos für Las Ventas verschenkt er in der Regel seine Eintrittskarten. Allerdings hatte er sich heute die Sonntags-Corrida angesehen mit Serafín Marín und Fernando Cepeda. Ich freute mich, dass er meinen Eindruck bestätigte und Cepedas veronicas als außerordentlich und den Besuch der Veranstaltung Wert erachtete. Novilleros würden ihn kaum noch interessieren, sagte er. Meine Frage nach José Tomás, seit 2 Jahren nicht mehr aktiv, beantwortete er: Das ist ein intelligenter Mann, der was im Kopf hat. – Meinen anderen, derzeit retirierten hoch geschätzten Torero Morante de la Puebla bezeichnet er zwar als artista, jedoch als torpe, was die geistigen Kapazitäten angeht.

     Ach ja, interessant war, dass Gonzalito bekannte, keine Bücher (mehr?) zu lesen, erst recht keine über den Stierkampf oder Toreros.

     Das war ein „Interview“, zufällig zustande gekommen in der Bar Manolete am 10.10.04.

     Bekannt war, dass das Hotel geschlossen werden sollte. Alle camareros prophezeiten, dass sie weinen würden am letzten Tag (8.11.04) ihres Wirkens. Teo, der Barman des Vertrauens, versicherte es allen. Erst als ich Almodovars Film „Hable con ella“ Monate später zum wiederholten Mal anschaute, erkannte ich, dass Teo und die Bar Manolete – neben der Bar des verlorenen World-Trade-Centers einer der   kultiviertesten Bars der Welt – ein wundervolles Denkmal gefunden haben.

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André Masson, "Corrida", 1936

 

 

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